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Kopftuchverbote im Staatsdienst

Diskriminierung im Staatsdienst ist ein ernstzunehmendes Problem. Werden wir in Zukunft keine Beamtinnen in der Justiz mit Kopftuch sehen, weil diese vorverurteilt werden? Wie diskriminiert der Staat und wie kann man sich wehren? Aqilah Sandhu kann das aus eigener Erfahrung beantworten.


Text von Carmen Mohr

Aqilah Sandhu war zu Gast bei der RLC Regensburg.


Aqilah Sandhu, die derzeit an der juristischen Fakultät in Augsburg promoviert, kämpft für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung im Staatsdienst. Am vergangenen Montag, dem 30.01.2017, besuchte sie die Universität auf Einladung der Refugee Law Clinic Regensburg, um mit knapp über 40 Interessierten aller Fachbereiche über ihren Fall zu diskutieren. Ihre Geschichte ging durch die Presse und löste eine bundesweite Debatte aus. Sie erzählte von ihren persönlichen Erlebnissen und wandte sich immer mehr den großen Fragen zu, wie zum Beispiel dem Zusammenspiel von Staat und Religion oder auch Neutralität und Pluralismus. Es wurde den Zuhörern schnell bewusst, welch großen Symbolcharakter der Fall Aqilah Sandhus hatte.


Die Vorgeschichte

Nach der Begrüßung und Vorstellung durch Prof. Dr. Alexander Graser führte Aqilah Sandhu in die Thematik ein. Sie begann 2014 das juristische Referendariat in Augsburg, wofür sie im Rahmen ihrer Bewerbung ein Foto von sich beifügte – als gläubige Muslimin selbstverständlich mit einem Kopftuch.


Womit sie jedoch nicht rechnete, war die E-Mail die ihr daraufhin zuging: Man ließ sie zwar zum Referendariat zu, jedoch nur unter der Auflage, dass sie keiner den Staat nach außen vertretenden Tätigkeit nachgehen wird. Diese offene Diskriminierung verletzte Frau Sandhu nicht nur persönlich, sondern hinderte sie vor allem daran, ihrer Ausbildungstätigkeit zur Genüge nachzugehen.


Um gegen die Auflage vorzugehen, versuchte sie erfolglos eine interne Lösung zu finden und erhob schließlich Widerspruch und Klage. Im Rahmen der Verwaltungsrechtsstation nahm der Freistaat die Auflage zurück, was jedoch die ursprünglich diskriminierende Wirkung der Auflage nicht minderte. Im Laufe des daraufhin in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellten Prozesses, bekam Sandhu schließlich im Juni 2016 vom VG Augsburg Recht:


„Das mittels Auflage […] verfügte Verbot für eine muslimische Rechtsreferendarin, bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten […] ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Bundes und des Freistaats Bayern keine (hinreichend bestimmte) gesetzliche Grundlage.“

– VG Augsburg, Urteil v. 30.06.2016


Der Freistaat Bayern ging daraufhin in Berufung – das Verfahren dauert noch an.


Die Diskussion

Im Anschluss an ihre Geschichte stellte sich die Referentin einem diskussionsbereiten Publikum. Die Themen reichten von der persönlichen Benachteiligung bis hin zu grundsätzlichen juristischen, politischen und gesellschaftlichen Fragen. Einige Beispiele:


Wie liefen Gespräche mit ihren Dienstherren während des laufenden Verfahrens ab?


Die Reaktionen auf den Sachverhalt seien sehr unterschiedlich gewesen. Während einige sagten, Bayern sei nun einmal christlich und eine solche Auflage müsse man verstehen, so fand sie ebenso viel Unterstützung durch jene, die keinen Grund für die Auflage sahen. Sie werde von einem Berliner Anwalt unterstützt, der gemeinsam mit ihr das Verfahren weiterführt. Den Großteil der anfallenden Arbeit mache sie jedoch stets selbst.


Was ist der Grund für die Auflage gewesen?


Viele verschiedene Ansätze wurden hier angebracht und auch verworfen. Im Kern stehe das Argument, eine Person, die ihren Glauben derart nach außen trage, sei befangen. Der Bürger würde denken, er habe eine „Sharia-Rechtsprechung“ zu erwarten, sollte er je einer Richterin mit Kopftuch gegenübertreten. Dem entgegnet Frau Sandhu, dass diese Befürchtungen einem christlichen Richter auch nicht entgegengebracht würden. Soll dieser über ein Kreuzverbot entscheiden, werfe man ihm nicht ohne Weiteres Befangenheit vor. Es gebe keinen Grund mit zweierlei Maß zu messen, zumal ihr die Mehrheit der deutschen Bevölkerung kein grundsätzliches Misstrauen entgegenbringe, nur weil sie ihren Glauben als so elementaren Teil ihrer selbst zeige.


Wäre ein System des Laizismus wie zum Beispiel in Frankreich besser oder wünschenswert?


Frau Sandhu bringt vor, dass dieses System auch als Trugschluss gesehen werden könne. Der Staat sei legitimiert durch die Bevölkerung und solle diese verkörpern. Eine künstliche Trennung sei gar nicht möglich. Eine gelebte pluralistische Gesellschaft, in der jeder seiner Religion nachgehen könne, fördere viel mehr Toleranz. Staat und Religion könnten voneinander profitieren.


Wie wirkt unsere Verfassung bezüglich einer Neutralität des Staates?


Es scheine beinahe, als versuche der Staat zweierlei Neutralitätsmodelle zu vertreten. Betrachtet man die Fälle des Kopftuchverbots im Lehramt, bedürfe es für die Wirksamkeit einer konkreten Gefahr. Für den Staatsdienst in der Justiz reiche aber augenscheinlich die angebliche grundsätzliche Besorgnis der Bürger für ein Verbot aus.


Außerdem sieht Frau Sandhu ein weiteres Problem: „Die Folgen von Vorurteilen können Menschen in ihren Lebensentscheidungen massiv beeinflussen. Diese Vorurteile basieren häufig auf einer Besorgnis, die auch vom Staat geschürt wird. Man sollte Diskriminierungen nicht aus Angst vor den möglichen Konsequenzen hinnehmen.“ Es werde dem Bürger gerade erst durch dieses nicht neutrale Verhalten des Staates die Idee von Misstrauen vermittelt. Erst durch das Infragestellen einer religiösen Person werde die Diskussion ins Rollen gebracht, ob Religion nicht auch eine Befangenheit nach sich zieht.


„Man sollte Diskriminierungen nicht aus Angst vor den möglichen Konsequenzen hinnehmen.“

– Aqilah Sandhu


Es ergebe sich, dass der „Staat als personifizierte Besorgnis“ gegen einen Grundrechtsträger in diskriminierender Art vorgehe. Eine solche Berechtigung dafür lasse sich jedoch weder aus der Verfassung noch aus anderen Gesetzen ableiten. Von einer Neutralität des Staates könne hier nicht gesprochen werden.


Aqilah Sandhu kämpft für das Recht auf vorurteilsfreie Behandlung. Sie riskierte ihre berufliche Zukunft, um gegen die Diskriminierung im Staatsdienst anzugehen. Ihre persönliche Berufsentscheidung will sie sich nicht wegen unbegründeter Vorurteile nehmen lassen.


Wir bedanken uns herzlich für die sehr anregende Diskussion und wünschen Frau Sandhu viel Erfolg im weiteren Verlauf des Rechtsstreits.

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