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Mit einander statt über einander reden

Wenn Theorie und Praxis aufeinanderprallen, gibt es häufig Konfliktpotenzial. Das wissen nicht nur Juristen. Der Vortrag von Tanja Sichert zeigte deutlich, wie sehr die Idealvorstellungen der Asylpolitik und die tatsächliche Wahrnehmung der ehrenamtlichen Helferkreise voneinander abweichen können.


Text und Titelfoto von Bastian Winter


RLC-Organisatorin Larissa Borkowski begrüßte am vergangenen Montag, den 4. Juli 2016, an der Uni Regensburg die Gäste und die Referentin des Abends. Sie appellierte an alle Anwesenden, die Gelegenheit zu nutzen und mit einander statt über einander zu reden, bevor sie das Wort an die Gastrednerin übergab.


Referentin des Abends war Tanja Sichert. Sie ist Mitarbeiterin im Referat „Politische Kommunikation, Grundsatz“ am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Zirndorf bei Nürnberg. Sie studierte an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Mannheim, bevor sie als Sachbearbeiterin im Jobcenter ihre Karriere begann. Später wechselte sie als Entscheiderin zum BAMF und ist nun seit 4 Jahren dort im Leitungsstab. In ihrem Vortrag berichtete sie über das Asylverfahren in Deutschland und die Rolle der EntscheiderInnen.


Zu Beginn ihres Vortrags verteilte Frau Sichert einen Fragenkatalog, den sie der Reihe nach abhandeln wollte – eigentlich. Denn das Publikum, bestehend aus MitarbeiterInnen der Refugee Law Clinic Regensburg, der Law Clinic Augsburg, der Universität Regensburg und verschiedener Helferkreise, hatte viele Fragen und Anregungen, die es an die Referentin loswerden wollte.


Theorie und Praxis

Der erste Teil des Vortrags behandelte noch einmal den Ablauf eines Asylverfahrens in Deutschland. Insbesondere ging die Referentin auf die Anhörung als „Herzstück des Verfahrens“ und die Rolle der EntscheiderInnen ein. Diese übernehmen die Leitung der Anhörung und sollen den Sachverhalt so lückenlos wie möglich aufdecken, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können. So gibt es zum Beispiel auch besonders geschultes Personal für geschlechtsspezifisch Verfolgte, Folteropfer, Traumatisierte, unbegleitete Minderjährige und Opfer von Menschenhandel. Durch ihre höhere Kompetenz auf diesen Gebieten, können bessere Entscheidungen getroffen werden.


Das erste Mal kommt es zu einer Diskussion, als Frau Sichert die Nichtöffentlichkeit der Anhörung beschreibt. Grundsätzlich sei es so, dass die Anhörung nicht öffentlich stattfindet und nur Vertreter des Bundes, eines Landes oder des UNHCR sowie Rechtsanwälte teilnehmen dürfen. Bei allen anderen Personen hänge die Teilnahme von der Genehmigung durch den Leiter des BAMF ab, so Sichert.


Prof. Alexander Graser widersprach dieser Aussage. AntragstellerInnen könnten in der Anhörung jederzeit mit Beiständen erscheinen. Dies sei gesetzlich in § 14 Abs. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz so verankert. Daran seien auch die EntscheiderInnen ohne Genehmigung durch die Behördenleitung gebunden.


Hier seien die Weisungen des BAMF anders, erklärte Sichert. Sie ergänzte auch, dass sie selbst bereits häufig schlechte Erfahrungen mit ehrenamtlichen Beiständen gemacht habe. „Viele Ehrenamtliche sind auf die Inhalte der Anhörung nicht vorbereitet“, so Sichert. Als Beispiel nannte sie Anhörungen in denen es um konkrete und detaillierte Beschreibungen von Folter ging. „Als geschulte Entscheiderin halte ich solche Beschreibungen aus, aber Ehrenamtliche können davon schon erst einmal geschockt sein.“ Das könnte dann für den Flüchtling wiederum ein Nachteil sein, wenn er sich nicht mehr traut alles genau zu erzählen, weil der Beistand die Schilderungen nicht aushält. Natürlich könnten ehrenamtliche Beistände gerne ihre betreuten AsylbewerberInnen zur Anhörung begleiten, sie sollten sich aber zwei bis drei Wochen im Voraus bei den zuständigen SachbearbeiterInnen anmelden.


Das konnte ein Herr im Publikum nicht verstehen: „Wie soll ich mich denn zwei Wochen im Voraus anmelden, wenn ich erst am Tag vorher von der Anhörung erfahre?“ Auf diese rhetorische Frage ging Tanja Sichert nicht mehr ein.


Dolmetscher ist nicht gleich Dolmetscher

Weiteren Klärungsbedarf sahen die Anwesenden beim Punkt über Dolmetscher in der Anhörung. Sichert berichtete, dass die Anzahl der ÜbersetzerInnen am BAMF mittlerweile verdoppelt worden sei. Auf Nachfrage gab sie an, dass es sich hierbei jedoch weder um vereidigte Dolmetscher, noch um Angestellte des BAMF handele. Die Übersetzungen würden von selbständigen, externen Dienstleistern übernommen. Nur so könnten auch für alle Sprachen und Dialekte ausreichend ÜbersetzerInnen gefunden werden.


Dies warf Fragen nach der Qualität der Dolmetscher auf: Eine Mitarbeiterin der RLC Regensburg schilderte einen Fall, in dem sie durch Zufall (sie spricht dieselbe Sprache wie die begleitete Geflohene) in der Anhörung bemerkte, dass die Dolmetscherin die Aussagen der Angehörten nicht richtig übersetzte. Sie fasste die Aussagen nur zusammen und gab sie so in eigener Interpretation an die Entscheiderin weiter. Nach mehrfacher Beschwerde durch die Begleiterin wurde daraufhin diese von der Anhörerin zur Ruhe ermahnt, statt die Dolmetscherin auszutauschen.


Sichert gab hier zu bedenken, dass es auch für die Angehörte belastend wäre, wenn sie mitbekomme, dass ihr Beistand aufgeregt mit den Anhörern diskutiere. Die EntscheiderInnen hätten immer das Wohl der Asylbewerber in den Vordergrund zu stellen. Ferner könnten fehlerhafte Aussagen auch jederzeit nachträglich über das Protokoll oder die Nachreichung von Schriftstücken korrigiert werden. Zur Qualität meinte Sichert, dass die Dolmetscher regelmäßig geprüft würden und dass es auch den EntscheiderInnen auffallen würde, wenn nicht vollständig übersetzt werde.


Prof. Graser hakte hier ein und merkte an, dass mangelnde Qualität nur auffallen könne, wenn noch eine Person im Raum sei, die die Sprache ebenfalls beherrscht. Dies sei aber durch den faktischen Ausschluss von ehrenamtlichen Beiständen nur sehr selten der Fall. Auch die Praxis der Protokoll-Führung werfe immer wieder Probleme auf. Vor allem sei es nicht so einfach dieses nachträglich noch zu ergänzen, ohne in einem möglichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren Nachteile zu erleiden. Auch mehrere Gäste kritisierten die Führung der Protokolle. So habe man schon häufig erlebt, dass nicht jede Aussage in das Protokoll aufgenommen würde und auch die vorgesehene Verlesung und Rückübersetzung des Protokolls nicht immer passiere. Sichert erklärte hierzu, dass zwar grundsätzlich ein Wortlautprotokoll zu führen sei, Aussagen aber auch zusammengefasst werden sollen. Die Anhörung solle schließlich nicht zu lange dauern.


Die Arbeit der Entscheider

Ein wichtiges Thema des Vortrags war die eigentliche Tätigkeit als EntscheiderIn beim BAMF. Dieses hat derzeit aufgrund der stark erhöhten Anzahl an Anträgen einen erhöhten Bedarf an MitarbeiterInnen.


Sechs Wochen dauere die Ausbildung zum Vollentscheider, so Sichert. Vollentscheider sind Anhörer und Entscheider in einer Person, die beiden Arbeitsschritte könnten aber auch getrennt werden, erklärte die Referentin. Entscheider könne aber nur werden, wer bereits Vorkenntnisse mitbringt. Häufig seien das Verwaltungsfachwirte, Sozialwirte, Juristen, etc. Nach der Ausbildung werde man zunächst in „einfachen“ Länder-Bereichen eingesetzt und von Mentoren und Ansprechpartnern begleitet.


Ein Zuhörer kritisierte die geringe Ausbildungszeit und merkte an, dass auch Mentoren und Ansprechpartner nichts an der resultierenden schlechten Qualität ändern würden. Sichert entgegnete aber, dass die Entscheidungen von jungen MitarbeiterInnen nochmal inhaltlich geprüft würden, bevor Bescheide verschickt werden.


Kritik fand vor allem auch das Modell einer von der Entscheidung getrennten Anhörung. Eine Zuhörerin fragte, wie ein Entscheider die Glaubhaftigkeit eines Antragstellers beurteilen könne, wenn er ihn nie zu Gesicht bekomme, sondern nur das Protokoll der Anhörung. Die Referentin gab dazu an, dass Glaubhaftigkeit nichts Subjektives sein dürfe, sondern anhand objektiver Kriterien feststellbar sein müsse, die dann auch in das Protokoll übernommen würden. Auf die Nachfrage, welche Rolle dann aber der subjektive Eindruck spiele, entgegnete Sichert, dass es natürlich für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit ein Unterschied sei, ob jemand nur Punkte aufzähle oder ob man sich „mitten wie in einem Film“ fühle. Doch ein objektiver Anhaltspunkt für die Glaubwürdigkeit eines Antragstellers sei gerade eine detaillierte Schilderung des Erlebten.


Die Trennung von Anhörung und Entscheidung trägt wohl auch dazu bei, die Verfahren zu beschleunigen und die Arbeitslast des Bundesamts zu verringern.


Hohe Belastung für die Behörde

Die Arbeitslast des BAMF ist zweifelsohne enorm. Da monatlich mehr Anträge gestellt werden, als die Behörde im selben Zeitraum bearbeiten und entscheiden kann, steigt die Zahl der anhängigen Verfahren seit Jahren an. Ende Mai 2016 waren beim BAMF Verfahren von 459.667 Personen anhängig. Dieser Zahl sollen noch im Jahr 2016 idealerweise 7.300 MitarbeiterInnen gegenüberstehen – doch davon ist nur ein Teil mit der Entscheidung der Anträge beschäftigt. Laut Sichert müssen die EntscheiderInnen derzeit mindestens 20 Anhörungen/Entscheidungen pro Woche schaffen. So wundert einen kaum die hohe Arbeitslast, da viele Anhörungen schon einmal drei Stunden und länger dauern.


Ab Antragstellung beim BAMF dauere ein Asylverfahren im Schnitt sechs Monate, gibt Sichert an. In dieser Statistik würden allerdings alle Geflohenen fehlen, die bisher noch gar keinen Asylantrag beim Bundesamt stellen konnten, gab sie zu. Dies soll aber in Zukunft besser werden. Sichert zeigte den Anwesenden einen Film über die geplanten „Ankunftszentren“ in Deutschland. Hier sollen Geflohene sofort nach ihrer Ankunft hingebracht und registriert werden, sowie auch ihr Asylverfahren durchlaufen. In sehr einfachen Fällen soll das Verfahren bereits binnen 48 Stunden abgeschlossen sein. Schon während des Films konnte man im Saal vielfaches Kopfschütteln beobachten.


Prof. Graser befürchtet durch die Beschleunigung der Verfahren eine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten für Asylsuchende. Binnen 48 Stunden sei es für frisch Angekommene faktisch unmöglich rechtlichen Rat – sei es durch eine Anwaltskanzlei oder Ehrenamtliche – einzuholen. Auch die extrem kurze Klagefrist von einer Woche nach Ablehnung des Asylantrags trägt dazu bei, dass Geflohene keine Chance auf anwaltliche Vertretung haben. Tanja Sichert gab aber auch die Vorteile der Ankunftszentren zu bedenken. So hätten die Asylsuchenden schnellere Gewissheit und vor allem sofortigen Zugang zu ärztlicher Versorgung in den Zentren.


Am Ende des Vortrags fasste Tanja Sichert nochmal die gesetzlichen Reformen der vergangenen Zeit zusammen und sagte, dass ihr diese ganzen Bemühungen Hoffnung machten, dass die Situation der Geflohenen verbessert werden könne.


Viele Anwesende waren sich nach dem Vortrag jedenfalls einig: Der Referentin gebührt Respekt und Dank, dass sie sich trotz des „schwierigen“ Publikums und der vielen Kritikpunkte zu diesem Gespräch bereit erklärt und jederzeit besonnen geantwortet hat. Die Organisatoren hoffen, dass beide Teile etwas aus diesem Gespräch mitnehmen konnten.

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