Text von Moritz Harzenetter
Angesichts teils dramatischer Zustände am österreichisch-deutschen Grenzübergang Braunau-Simbach beabsichtigt die Bürgerinitiative PeaceWatch ein System einzuführen, das einen geordneten Grenzübertritt für Flüchtlinge ermöglicht. Mit Hilfe eines Nummernsystems soll der Stau auf der Innbrücke aufgelöst werden, um die Lage vor Ort zu entspannen.
So sehen die Armbänder für das Nummernsystem aus. Das Nummernsystem wurde von einer Bürgerbewegung in Freilassing entwickelt und ist erprobt: Am dortigen Grenzübergang Innsbruck-Freilassing hat die Verteilung nummerierter Bänder eine signifikante Verbesserung der Lage bewirkt. Dies bestätigen sowohl österreichische als auch deutsche Einsatzkräfte. Für die Umsetzung des Systems in Braunau-Simbach hat die Bundespolizeidirektion München ihre Zustimmung bereits erteilt, von österreichischer Seite fehlt diese bislang. (Stand: 29.10.15)
So funktioniert das System
Die Ankunftszeit und Anzahl der Flüchtlinge, die per Bus an die Grenze transportiert werden, wird frühzeitig an das österreichische Bundesheer mitgeteilt. Am Grenzübergang erhalten die Flüchtlinge Armbänder, die vom PeachWatch-Freiwilligenteam mit Nummern beschriftet werden. Dabei werden die Helfer von Übersetzern unterstützt, die das System erklären, um Missverständnissen vorzubeugen.
Durch die Gewissheit eines sicheren Platzes im Rahmen eines geordneten Grenzübertritts entschärft das Nummernsystem die angespannte Lage. Bilder erschöpfter Menschen, die in chaotischen Warteschlangen fast zerquetscht werden, aus Angst um den Verlust ihres Platzes ihre Notdurft nicht verrichten können, sollen der Vergangenheit angehören. Zukünftig sollen sie in warmen und trockenen Unterkünften warten können, wodurch Drängeleien oder ähnliches verhindert werden.
Geordneter Übertritt durch nummerierte Kontingente
In Absprache mit der österreichischen und deutschen Polizei organisiert PeaceWatch.de anschließend den Grenzübertritt. Dazu teilt die Polizeiführung 45 Minuten im Vorhinein das aktuelle Übertrittskontingent an den PaceWatch-Einsatzleiter mit. Dieser meldet wiederum die Armbandnummern jener Flüchtlinge zurück, die PeaceWatch.de gemäß der Kontingentangabe zum Grenzübertritt aufruft. Die österreichische Polizei kontrolliert an der Grenze die Nummern und schickt gegebenenfalls Personen ohne Armband bzw. mit falscher Nummer zurück. Abschließend werden die vereinbarten Kontingente nach erfolgreichem Grenzübertritt von der deutschen Bundespolizei übernommen.
Freiwillige PeaceWatch-Helfer/innen erklären Asylsuchenden das Nummernsystem. PeaceWatch ist eine sich im Aufbau befindende Bürgerinitiative, die sich der friedlichen Bewältigung von Konflikten widmet. Gegründet wurde sie von Matthias Lindner und Sebastian Adler. Aktuell sind sie auf der dringenden Suche nach Freiwilligen für die Aufgaben der Bändernummerierung, Flüchtlingsinformation und Durchführung des Grenzübertritts in Braunau-Simbach. Interessierte können sich unter refugees@peacewatch.de melden.
So kann man ein eigenes Hilfssystem aufbauen
Text: PeaceWatch.de
Sicher gibt es auch unter unseren Leserinnen und Lesern engagierte Menschen, die selbst eine gute Idee zur Flüchtlingshilfe haben. Für alle die ihre Idee auch in die Tat umsetzen wollen hat PeaceWatch beschrieben, wie sie ihr Nummernsystem erfolgreich in Wegscheid eingeführt haben:
1. Situationsanalyse vor Ort, verlasse dich nie auf das, was andere erzählt haben. Einsatzlagen ändern sich stündlich!
2. Kurzes inoffizielles „Stimmungsbild“ zu deinen Ideen bei den Beamten und anderen Freiwilligen vor Ort einholen.
3. Danach jedoch ist die Kommunikations-Reihenfolge am effizientesten von ganz oben nach unten (z.B. Bundespolizeipräsidium MUC Führungsstab -> BuPol Abschnitt Passau Polizeidirektor -> Hundertschafts-Führerin für Wegscheid in Passau -> Einsatzleiter Wegscheid vor Ort -> Zugführer Wegscheid -> Gruppenführer)
4. Vor Ort: Absprachen mit ALLEN Einsatzleitungen (Polizei, RK, Translator, Freiwillige) in beiden Ländern (anstrengend! Achtung: Die EL wechselt häufig mit jeder Schicht, oft muss man alles jeden Tag nochmal erklären und Kompetenzkämpfe mehrmals mit der selben Behörde austragen …) Es hilft Namen, Dienstgrade und Funktionen der wichtigen Kontaktpersonen zu notieren.
5. Auch wenn Widerstand und Skepsis kommen: Einfach loslegen und die neuen Strukturen mit deinen Freiwilligen aufbauen! (bei uns z.B. Bänder-Nummern-System für geregelte Weiterreise nach D-Land).
6. Euer System Schritt für Schritt einführen, sich von der kritischen Implementierungsphase nicht entmutigen lassen. Die Situation wird immer erst chaotischer, bevor sie besser wird! Systeme laufend & flexibel an die Situation anpassen (jeder Ort tickt anders – was in Salzburg klappt, klappt in Wegscheid noch lange nicht, zumindest nicht 1zu1…). Goldene Regel: Keep it simple!
7. Wenn es dann gut läuft: Einsatzleitungen dazu holen, ihnen die Erfolge schildern und ihnen ihre Vorteile erklären (z.B. Vorteil Bändersystem für Polizei: Weniger Rangeleien, weniger Konflikte, schnellere Abfertigung)
8. Beim Verantwortlichen Druck machen! Sagen, dass man zu wenige Ressource hat, um das neue, erfolgreiche System über mehrere Tage am Laufen zu halten. Darauf hinweisen, dass dies eigentlich die Aufgabe der Behörden wäre. Personal anfordern für Übergabe. Wenn Polizei sich rausredet („zu wenig Personal!“) darum Bitten, dass Kontakt zum Bundesheer hergestellt wird (da sitzen noch genug Leute rum). Wenn ein Beamter sich nicht zuständig fühlen will, gibt es zwei „magische“ Sätze:
„Besondere Situationen erfordern besonders Handeln, von couragierten Menschen wie Ihnen!“ ODER
„Wir werden den weiteren Verlauf dokumentieren – sollten uns die Helfer ausgehen und das neue System wieder zusammenbrechen, sind SIE dafür verantwortlich. Das kommunizieren wir dann so an die Presse. Wie war nochmal ihr Name? Und wer ist ihr Vorgesetzter?“
9. System an offizielles Personal übergeben. Genau erklären, worauf es ankommt. Deren Arbeit beobachten und am Anfang noch Tipps geben.
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