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Ein Prozess wie ein Theaterstück

Aktualisiert: 7. Aug. 2023

Text von Bastian Winter


Mit einem Gastvortrag startete die Refugee Law Clinic Regensburg ihr Vortragsprogramm im Jahr 2016. Dr. Rüdiger Helm reiste aus Kapstadt an, um über seine Rolle bei der sog. „Mangold-Entscheidung“ zu sprechen.


Dr. Rüdiger Helm kommt mit Krawatte zu seinem Vortrag. Für einen Juristen ist das nicht weiter ungewöhnlich, doch weder war Dr. Helm schon immer Jurist, noch trug er schon immer Krawatten. Letzteres liegt nämlich an einer „verlorenen Wette“ – gegen sich selbst. Dabei ging es um ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof in dem sich Dr. Helm vorgenommen hatte, ab sofort Krawatten zu tragen, falls der Fall positiv entschieden würde – und positiver hätte es kaum laufen können.


Dr. Helm war als Beklagter maßgeblich an der sogenannten „Mangold-Entscheidung“ vom 22. November 2005 (C-144/04) beteiligt. Dieses Urteil ist bis heute eine der wichtigsten Entscheidungen zur Altersdiskriminierung im Arbeitsrecht und auch zur Bedeutung von Richtlinien in der europäischen Gesetzgebung.


Im Rahmen der Vortragsreihe „Strategic Litigation“ (Strategische Prozessführung) der Refugee Law Clinic Regensburg referierte Dr. Helm zur Strategie hinter dieser wichtigen Entscheidung. Der Fall ist nämlich insbesondere deshalb interessant, weil der Rechtsstreit zwischen den Parteien inszeniert worden war, um eine gerichtliche Entscheidung in der Sache zu erwirken und damit einen Präzedenzfall zu schaffen.


Der Sachverhalt und das „Drehbuch“

Das Problem begann mit einem Gesetz aus dem Jahr 2002. Damit wurde das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) geändert. Das TzBfG ermöglicht es unter anderem Arbeitgebern, mit Arbeitnehmern befristete Arbeitsverträge zu schließen. Das ist für die Arbeitgeber insofern von Vorteil, dass das Arbeitsverhältnis automatisch mit Ablauf der Frist endet, ohne dass man sich um eine rechtzeitige Kündigung oder ähnliches kümmern müsste. Dies benachteiligt natürlich auf der anderen Seite den Arbeitnehmer, dem dadurch ein Großteil des Arbeitnehmerschutzes und vor allem seine Job-Sicherheit verloren geht. Deshalb ist eine befristete Anstellung nach dem TzBfG grundsätzlich nur bis zu einer Dauer von zwei Jahren erlaubt. Danach benötigt der Arbeitgeber entweder einen „sachlichen Grund“ für die Befristung oder er muss den Arbeitnehmer in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernehmen.


Für über 58-Jährige war es jedoch zulässig, sie auf Dauer und grundlos nur mehr befristet einzustellen. Auch nach zwei Jahren brauchte es keine sachliche Begründung mehr. Diese Regelung dehnte der Gesetzgeber im Jahr 2003 auch auf Arbeitnehmer aus, die erst das 52. Lebensjahr vollendet haben. Das bedeutete konkret, dass Arbeitnehmer über 52 ständig um die Verlängerung ihres Arbeitsvertrages bangen mussten, während die „Jungen“ ohne plausiblen Grund für die Befristung spätestens nach zwei Jahren eine Festanstellung bekommen mussten.


Grund für die Änderung waren laut Gesetzgeber leichtere Einstellungsbedingungen für ältere Arbeitnehmer und damit höhere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Jedoch gebe es bis heute keinen Nachweis dafür, dass diese veränderten Einstellungsbedingungen tatsächlich zu höherer Beschäftigung in dieser Altersgruppe geführt hätten, so Helm.


Die neue Regelung habe daher gegen die am 27. November 2000 erlassene Gleichbehandlungsrichtlinie (2000/78) der EU verstoßen, so die Meinung der Rechtsanwälte Dr. Helm aus München und Dieter Hummel aus Berlin. Diese Richtlinie untersage nämlich ausdrücklich eine Ungleichbehandlung wegen des Alters ohne „objektive und angemessene“ Rechtfertigung.


Um etwas dagegen zu tun, überlegten sie sich eine eher ungewöhnliche Vorgehensweise. Es sollte eine Rechtslage konstruiert werden, die die Änderung des TzBfG gezielt ausnutzt, um später vor Gericht dagegen vorgehen zu können. Dr. Helm schloss daher mit seinem namensgebenden Bekannten, Werner Mangold, am 26. Juni 2003 einen bis zum 28. Februar 2004 befristeten Arbeitsvertrag ab. Mangold war zu diesem Zeitpunkt 56 Jahre alt, was eine grundlose Befristung durch das geänderte TzBfG möglich machte. Das nutzten die Vertragsparteien gezielt aus: Alle anderen eventuell in Frage kommenden Befristungsgründe wurden im Vertrag ausdrücklich ausgeschlossen.


Die Premiere vor Gericht

Nachdem Mangold einige Zeit für Dr. Helm gearbeitet hatte, klagte er mit Unterstützung des Rechtsanwalts Dieter Hummel (einem Freund von Dr. Helm) vor dem Arbeitsgericht München gegen die Befristungsabrede. Dabei wandte er ein, die Änderung des TzBfG verstoße gegen die zu diesem Zeitpunkt noch nicht umgesetzte Gleichbehandlungsrichtlinie.


Das Arbeitsgericht hatte aber zunächst ganz andere Bedenken. Da der Fall offensichtlich nur zu dem Zweck konstruiert worden war, die Gesetzesänderung vor Gericht anzugreifen, stellten die Richter das Rechtsschutzbedürfnis der Klage in Frage. Sie vermuteten einen reinen Scheinprozess. Daher verlangten sie Nachweise darüber, dass Werner Mangold tatsächlich von Dr. Helm beschäftigt worden war. Da dies aber der Fall war und Mangold für seine Arbeit auch bezahlt wurde, konnten die Nachweise problemlos erbracht werden. Die Klage war damit zulässig.


Nach Beseitigung dieses Hindernisses äußerte das ArbG München Zweifel an der Vereinbarkeit von §14 Abs. 3 TzBfG mit dem Unionsrecht. Jedoch: Die Gleichstellungsrichtlinie verbiete eine Altersdiskriminierung, aber sie sei in Deutschland noch nicht umgesetzt und müsse auch noch nicht umgesetzt worden sein.


Es waren also neben der Zulässigkeit der grundlosen Befristung bei älteren Arbeitnehmern zwei weitere wichtige Punkte umstritten: Zum einen, ob Richtlinien überhaupt zwischen Bürgern wirken oder sich nur an den Staat richten und zum anderen, ob eine Richtlinie überhaupt schon verbindliche Wirkungen entfalten kann, wenn der einzelne Staat eigentlich noch Zeit hat, sie in nationales Recht umzusetzen. Das Gericht legte daraufhin die entsprechenden Fragen dem EuGH in Luxemburg vor.


Zweiter Akt mit Happy End

Dieser entschied am 22. November 2005 zugunsten von Werner Mangold. Doch auch abseits der eigentlichen Fallfrage war die „Mangold-Entscheidung“ richtungsweisend für die Bedeutung des europäischen Rechts.


Zunächst stellte der EuGH fest, dass Richtlinien nicht nur die nationalen Gesetzgeber verpflichten, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen, sondern auch indirekt Wirkungen auf die Rechtsverhältnisse zwischen einzelnen Bürgern haben. Diese Wirkungen hätten Richtlinien sogar schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist, da es den nationalen Gesetzgebern schon in dieser Zeit verboten sei, Gesetze zu erlassen oder zu ändern, wenn sie damit Ziel und Zweck der Richtlinie gefährden. Falls dennoch eine entsprechende Norm geschaffen würde und diese damit gegen Unionsrecht verstößt, dürften die nationalen Gerichte sie nicht anwenden. Konkret sei es Sache des nationalen Gerichts, die volle Wirksamkeit des allgemeinen Verbotes der Diskriminierung wegen des Alters zu gewährleisten.


Besser hätte das Verfahren kaum laufen können. Obwohl Dr. Helm in dem Verfahren als Beklagter unterlegen ist, haben er und seine Mitstreiter sogar mehr erreicht, als sie beabsichtigt hatten.

Für künftige Generationen von Anwälten ist dieses Beispiel sicher auch interessant, da es zeigt, dass sich selbst ein inszeniertes Verfahren – sofern es ordentlich geplant und ausgeführt wird – bis in höchste Instanzen vorantreiben lässt und dort Präzedenzfälle schaffen kann.


Nur in einem Punkt hat Dr. Helm wohl tatsächlich verloren: Ab sofort wird er immer Krawatten tragen müssen.

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